Planet ICH
„Wenn sich jeder um sich kümmert, ist für jeden gesorgt…“, dieser blöde Spontispruch prangte auf vielen kleinen Buttons, die an alten, coolen Taschen hingen, die wir in den 80er Jahren trugen. Direkt neben „Atomkraft? Nein Danke“ oder “Brot für die Welt, aber die Wurst bleibt hier!”
Zeitsprung: Ich war vor ein paar Wochen in Rom. Spannende Szene, abends 22:00 Uhr am Trevibrunnen. Hunderte von Menschen rund um das monumentale Wasserbecken, trillerpfeifende Polizisten, die jedes Hinsetzen auf dem marmornen Rand lautstark anmahnten. Eine eigentlich muntere, sehr italienische Szene – dennoch für mich grotesk: Der Blick der Anwesenden war zu 90 % nicht auf den Brunnen gerichtet. Selfiestick in der Hand, „Insta-Lächeln“ auf Knopfdruck eingeschaltet… Der Brunnen lediglich als fescher Hintergrund für die Selbstinszenierung – es wirkte gar, als sei es völlig wurscht was da im Hintergrund sei. Irgendwas Berühmtes irgendeiner einer tollen Stadt, aber eigentlich egal. – Hauptsache ICH.
Andere Szene: Als (wenn auch seltener) Autofahrer in der Stadt habe ich immer wieder Situationen erlebt, die mich erstaunen: Ich fahre vorschriftsmäßig sehr langsam durch eine Innenstadt-Einbahnstraße und mir kommt ein Radfahrer entgegen, mitten auf der Straße und brüllt mich an, ob ich nicht aufpassen könnte. Offenbar hätte ich mich wegbeamen sollen. Es war alles völlig unkritisch, aber in der Welt meines Verkehrspartners störte ich offenbar – Hauptsache ICH.
Wenn ich so manche junge Eltern erlebe, dann macht sich in mir die Sorge breit, dass noch viel mehr kleine “ICH-Planeten“ erzogen werden. Aber ganz im Ernst: Ist es das, was wir wirklich brauchen? Natürlich brauchen wir Menschen, die in einem vertrauensvollen Nest gutes Selbstvertrauen und damit Vertrauen in andere und in die Welt entwickeln. Wir (und das gilt sicher für unsere Gesellschaft genauso wie für die Unternehmen) brauchen aber auch Menschen, die sich auf andere einlassen können und wollen. Die Spaß daran haben, neugierig über den Tellerrand zu schauen und nicht nur auf das wohlbekannte Bild der eigenen Handykamera.
Mich befremdet das alles… Als Menschenbewegerin versuche ich jedoch stets Ansatzpunkte zu finden, um Veränderung anzustoßen. Meine Annahme ist, dass vieles ICH-bezogene aus einer Unerfülltheit oder Unsicherheit kommt, die viele mit dem Wunsch permanenter Resonanz oder Aufmerksamkeit kompensieren.
Wenn es uns gelingt, in unserem Umfeld dazu beizutragen, dass gesundes Selbstvertrauen gedeiht, dann kann das nur positive Wirkungen haben. Neugier auf - und Wertschätzung des Fremden gelingt doch nur aus einer inneren Stabilität heraus. Nur, wer einverstanden ist mit dem, was er bei sich antrifft, kann auch einverstanden sein mit dem Anderen.
Wirklich zu sehen, wie atemberaubend schön Rom ist, hilft übrigens auch – denn Schönheit streichelt die Seele.