Zwei Seiten
Wenn ich nicht gerade blogge, oder über neuen Konzepten brüte, dann bin ich damit beschäftigt, Führungskräfte, oder solche, die es werden wollen, auf ihrer Lernreise zu begleiten. Sehr feine und schöne Aufgabe. In unserem derzeitigen Erfolgskonzept, da sind die Teilnehmer völlig selbstorganisiert unterwegs. Auch wenn ich hier und heute keine weitere Werbung machen will (obwohl ich das so gerne täte, weil es ein so schönes Konzept ist :-)), so ist dieser Aspekt der Selbstorganisation relevant: Trainer greifen nicht ein. Go with the flow…
Mehr noch als bei anderen unserer Lernkonzepte, sind die einzelnen Runden sehr, sehr unterschiedlich; In ihrer Dynamik und auch in der Interaktion mit den Trainern. Gerade erst hatten wir eine Gruppe, die war irgendwie lieber, freundlicher, einander zugewandter (und man muß wissen, die Gruppen arbeiten immer über 10 Monate zusammen)… Da wurde “gesprintet”, immer und immer wieder, ohne Murren und Knurren und scheinbar ohne Ermüdungserscheinungen (wir hatten es schon anders erlebt). Egal, wie anstrengend die Raumbedingungen in diesem Hitzesommer auch waren, alles lief immer fein.
In einer Retrospektive brachte ein Trainer das Thema auf, dass die Gruppen doch mal überprüfen sollten, ob sie nicht zu harmonisch miteinander seien.
Peng… das wirkte… In meiner Wahrnehmung war das eine echte Irritation… Fast jede Kleingruppe beschäftigte sich daraufhin mit Harmoniesucht und möglicherweise vermiedenen Konflikten.
Die unausgesprochene Frage, die in meiner Beobachtung nach von schräg außen immer mitschwang: Sind wir richtig unterwegs? Machen wir etwas falsch? Berauben wir uns einer Chance?
Neulich habe ich mal wieder, völlig unerwartet, Joni Mitchell´s „Both Sides Now“ im Radio gehört und mir kam dann der Gedanke, zwei Seiten zu beleuchten.
Harmonie ist im Business uncool. Harmonie verhindert das wirklich allerbeste Ergebnis. Wer wirklich richtig gut unterwegs ist, der/die* muss auch mal Kante zeigen können, der kommt auch gut damit zurecht, mal nicht gemocht zu werden, mindestens mal in der jeweiligen Situation. Reibung erzeugt Wärme. Harmonie ist doch eher etwas für Warmduscher.
Aber! Verhindert Harmonie Klarheit? Verhindert Harmonie gegenseitige Forderung, gegenseitiges beim-Wachsen-helfen? Vielleicht ist das so.
Vielleicht kann man „Harmonie“ manchmal jedoch auch durch „Freundlichkeit“ ersetzen und dann sind wir mitten drin, in dieser Gruppe. Freundliche, wertschätzende Menschen scheinen wirklich interessiert zu sein an der Entwicklung des jeweils Anderen. Das heißt ja nicht, dass die nicht anders können. Sie wollten es offenbar aber so. Ich mochte und ich mag es.
Ich habe beim Schreiben in Dauerschleife Joni Mitchell gehört… ohnehin ein ganz toller Song und er wird jetzt untrennbar mit dieser Gruppe verbunden sein… eine Gruppe, die sich mit Freundlichkeit aufgemacht hat, einen Rahmen für grenzenlose Entwicklung zu schaffen.
Wäre es nicht toll, wenn so etwas öfter gelingt? Ich meinerseits möchte gerne meinen Beitrag leisten.
*Aus sprachlichen Gründen habe ich mich bewusst entschieden, nicht weiter zu „gendern“… das ist keine Respektlosigkeit oder Unachtsamkeit