Leute kennen
Nachrichten-Yunkies brauchen Nachrichten, Hunde-Menschen brauchen Hunde, Beziehungs-Menschen brauchen Beziehungen. So einfach ist das.
Für mich ist der Kontakt und die Beziehung zu anderen Menschen enorm wichtig und gute, tiefgehende Gespräche und ein echter Austausch sind für mich Lebensgrundlage und ein großer Genuss.
Aber was sind Beziehungen? Heinz Rudolf Kunze hat in seinem Song „Dein ist mein ganzes Herz“ Beziehungen als ein Verhältnis zwischen Staaten abqualifiziert, berechnend und zielorientiert. Ich glaube, das gute Beziehungen dann existieren, wenn Geben und Nehmen ausgeglichen sind. Auch wenn das genau so klingt wie bei Kunze, ist es anders gemeint... Ich meine nicht, dass es sich hier um ein materielles Tauschgeschäft handelt, sondern das jeder der Beteiligten etwas rein gibt und auch etwas bekommt, nennen wir es win-win-Situation. Was hier immer noch klingt, wie ein Handel, ist in meinem Verständnis die absolute Grundlage für eine vitale und gesunde Beziehung.
Ich habe mal gelernt, dass Jeder, wirklich Jeder, zu jedem Zeitpunkt ganz genau weiß, wie das „Beziehungskonto“ in jeder Beziehung in seinem Beziehungsnetzwerk tatsächlich aussieht. Diese unbewussten „Rabattmarken“ kleben wir alle ständig. Jeder weiß von diesen Konten genau, ob sie ausgeglichen sind, oder nicht. Ein längerfristiges Ungleichgewicht wird fast immer zum Beziehungsabbruch führen, oder zum weniger aktiven (aber auch gar nicht schönen) Ausschleichen. Natürlich kann jeder die Entscheidung treffen, eine Beziehung fortzuführen, wenn das Verhältnis nicht ausgewogen ist… aber nennen wir es dann eher Sozialarbeit oder manchmal auch „Familie“ :-); auch wichtig, aber oft auch etwas Anderes.
„Leute kennen“ ist heutzutage eine richtige Währung geworden. Bekannt sein ist wichtiger denn je. Hintergrund sind sicher neue digitale Geschäftsmodelle, aber auch das menschliche Bedürfnis von „wahrgenommen werden“. „Likes“ als Synonym für bekannt-sein oder „Leute kennen“ wirken ja nicht nur positiv in unserem Gehirn. Ich fürchte, für manche verzerrt sich die Realität: Freunde bei Facebook oder Instagram sind keine echten Freunde.
Ich verfolge dieses Geschehen als aktiver Part mit kritischer Haltung. Ein digitales Profil ist heutzutage einfach wichtig, bietet es doch auch völlig neue Möglichkeiten (wie z.B. für meinen Blog!). Die anfängliche Überwindung ist bei vielen Älteren (ü45) da, aber z.B. „ìch habe keine e-mail, ich gehe nicht ins Internet“ würde heute schon auch Verwunderung erzeugen, oder nicht?
Im Business ist „Leute kennen“ natürlich sehr wichtig, das war schon wirklich immer so: Erlaubt es den Zugang zu neuen Netzwerken, zu neuem Business, vielleicht sogar zu raren Dienstleistungen oder Produkten. Und, es kann Einfluss bedeuten. „Leute kennen“ ist wichtig, keine Frage! Es ist auf alle Fälle die notwendige Bedingung für Geschäft heute. Aber die hinreichende Bedingung ist auch, dass sich in diesem wachsweichen Feld von „Leute kennen“ diese wachsweichen Grenzen nicht verschieben hinzu „Amigos“, „eine Hand wäscht die Andere“. Und ich glaube, dass diese Grenzen nicht nur schwimmend, sondern auch gefährlich sind. Sich selbst einen inneren Kritiker zu bewahren scheint mir relevant. Trotz aller Netz-induzierten-Eitelkeits-Verführungen.
Ich werde oft um Kontakt gebeten im Netz. Manchmal sind es Menschen, die aufgrund meiner Themen auf mich aufmerksam geworden sind. Manchmal sind es Menschen, die „Leute kennen“ offenbar auf Ihrer Agenda haben und davon offenbar eine möglichst lange Liste haben wollen. Klar, das ist Business, aber für mich fühlt es sich dann schal an.
Trotz aller kritischen Betrachtung von social media: Bei mir hat es immer wieder auch dazu geführt, dass es nur der Kontakt-Kanal war und sich über den erst virtuellen Kontakt eine schöne, echte Beziehung entwickelt hat.
Echte Beziehungen bereichern, mich jedenfalls auf alle Fälle.